Die zwei Schwestern: Eine vietnamesische Geschichte über Stolz und Eifersucht

Die zwei Schwestern: Eine vietnamesische Geschichte über Stolz und Eifersucht

Am Fuß eines von Dschungel bedeckten Berges lebten früher ein alter Holzfäller und seine Zwillingstöchter, Thảo und Hiền. Trotz seines hohen Alters, arbeitete der Holzfäller extrem hart für seine beiden Kinder. Jeden Tag nahm er seine Axt und hackte riesige Holzstücke oder sammelte kleines Gehölz vom Dschungelboden auf um sie in dem nahe gelegenen Dorf zu verkaufen. Die Zwillinge wiederum, wurden jeweils mit einem Buckel auf dem Rücken geboren. Allerdings wurden beide mit schönen, zarten Gesichtern und heller Haut gesegnet. Doch obwohl sie Zwillinge waren, waren die beiden Mädchen sehr verschieden. Thảo war gutmütig, liebevoll und half ihrem Vater wo sie konnte. Jeden Tag nahm sie den Eimer und holte Wasser aus dem nahe gelegenen Brunnen. Sie kümmerte sich um ihren Garten und fütterte unermüdlich die Enten. Sie kochte jeden Tag für ihren Vater und ihre Schwester und putzte die Hütte. Thảo liebte es zu summen oder ihre Lieblingslieder zu singen, während sie ihre Arbeit verrichtete. Wenn sie mit ihren Aufgaben fertig war, nahm sie ihren Korb und ging in den Wald, um frisches Obst für ihren Vater zu sammeln. Thảo war nie unglücklich über den Buckel auf ihrem Rücken. Sie glaubte, dass ein Mann von reinem Herzen bereit dazu wäre, sie trotz ihrer Unvollkommenheiten zu heiraten und sie für ihren Charakter und nicht für ihr Aussehen zu lieben.
Im Gegensatz dazu war Hiền egoistisch, eitel und faul. Da sie aber die Lieblingstochter des Holzfällers war, kam sie immer mit ihrer Faulheit davon. Immer wenn die beiden Schwestern Fische aus dem Teich fangen sollten, watete Thảo mit ihrem Netz in das schlammige Wasser, während Hiền untätig unter einem Baum saß, und sich darüber beschwerte, wie die Sonne ihre helle Haut ruiniere. Sie weigerte sich, in die Nähe des schlammigen Wassers zu kommen, oder den mit Fisch gefüllten Eimer anzufassen. Jedoch schimpfte ihr Vater sie nie, wenn sie nach Hause kam. Hiền fing an zu glauben, dass ein schönes Mädchen wie sie niemals harte Arbeit verrichten solle. Trotz der unfairen Behandlung Thảo gegenüber, hatte ihr reines Herz sie immer gelehrt, ihre Schwester zu lieben und sich treu um ihren Vater zu kümmern. Sie fuhr fort, ihre Aufgaben jeden Tag mit reiner Freude und Zufriedenheit zu verrichten.
Eines Tages war ihr Vater sehr krank und konnte kein Gehölz mehr im Dschungel sammeln. So beschloss er, seine beiden Töchter los zu schicken. Er lag auf seiner Strohmatte und Thảo fächerte ihm mit einem Palmwedel Luft zu, während sie ein feuchtes Tuch über seine warmen Brauen legte. In der anderen Ecke des Raumes, kreuzte Hiền ihre Arme, rümpfte stolz ihre Nase und beschwerte sich über den unangenehmen Geruch, den die Kräutermixturen neben des Vaters Bett ausströmten. Mit schwacher Stimme, forderte ihr Vater die beiden Mädchen auf, diesen Tag für ihn in die Wälder zu gehen und Holz zu sammeln, um es im Dorf zu verkaufen. Sonst hätten sie nichts zu essen.
Aber wie immer beklagte sich Hiền und weigerte sich, in den Dschungel zu gehen, aus Angst die Stöcke und Zweige würden ihre zarten Hände ruinieren. Sie argumentierte, wie gefährlich der Dschungel für ein hübsches Mädchen wie sie wäre. So bot Thảo an, allein in die Wälder zu gehen und sagte, sie hätte keine Angst vor Schlangen und Tigern und würde genug Stöcke sammeln, die sie dann im Dorf verkaufen könne. Solang solle sich Hiền um ihren Vater kümmern und sie versprach, rechtzeitig mit dem Abendessen wieder zuhause zu sein. Erfreut seine Lieblingstochter bei sich zu haben, stimme der Vater zu.
Mit einem großen Korb in der Hand, ging Thảo in den Wald. Als sie dort angekommen war, begann sie alle Stöcke einzusammeln, die sie auf dem Dschungelboden finden konnte. Sie summte dabei und sang fröhlich, während sie ihren Korb füllte. Als dieser halb voll war, ging sie tiefer in den Dschungel auf der Suche nach mehr, bis sie einen Platz mit sehr vielen Zweigen und abgebrochenen Ästen erreichte. Erfreut, sammelte Thảo schnell alles zusammen, und dachte daran wie glücklich ihr Vater sein würde und wie viel sie auf dem Markt verkaufen könne. Schließlich, als ihr Korb keine Stöcke mehr fassen konnte, entschied sie sich zum Dorf zu gehen. Doch als sie sich umsah, fand sie sich an einem Ort im Dschungel wieder, den sie noch nie gesehen hatte.
In der Gewissheit, sich verlaufen zu haben, versuchte Thảo den Weg zurück zu finden. Doch je mehr sie versuchte ihre Spuren zurück zu verfolgen, desto tiefer gelang sie in den Dschungel. Stunden vergingen und es wurde langsam dunkel. Mit ihrem vollen Korb versuchte sie weiter den Weg nach Hause zu finden, bis die Dunkelheit den ganzen Dschungel verschlungen hatte. Während sie ihren Weg durch Büsche und Bäume fortsetzte, hörte sie plötzlich seltsame Geräusche aus der Ferne. Kurz darauf, konnte sie ein kleines flackerndes Licht erkennen. Als sie näher heranging und durch die Blätter spähte, sah sie, dass das Licht von einem Lagerfeuer kam, wo eine Gruppe von Männern des Bergvolkes sang und tanzte. Die Männer trugen bunte Kostüme und jeder trug Pfeil und Bogen.
Fasziniert von ihrem Gesang und Tanz, entschied Thảo, sie ein wenig länger zu beobachten. Doch zu ihrer Überraschung, entdeckte sie einer der Bogenschützen und sprang schnell aus dem Schatten um sie zu packen. Als der Stammesangehörige Thảo zu dem Rest der Gruppe führte, stoppte das Singen und Tanzen. Mit neugierigen Blicken versammelten sie sich um das schöne Mädchen mit dem Buckel auf dem Rücken. Schon bald erschien der Stammesanführer und befahl, dass Mädchen zu fesseln. Aus Angst um ihr Leben, flehte Thảo, dass man sie freilasse. Man fragte sie, was sie im Tausch für ihre Freiheit bieten würde und da sie ihren Korb mit Stöcken aus Angst vor dem Zorn ihres Vaters nicht hergeben wollte, bot sie an, ein Lied zu singen.
Der Stammesführer stimmte überraschend zu und versprach ihr, solle ihr Lied den Stamm begeistern, würde er sie freilassen. Leise warteten die Bogenschützen während Thảo sich räusperte. Sie beschloss, dasselbe Lied zu singen, dass sie immer sang, während sie ihre Arbeit tat. Sie nahm einen tiefen Atemzug und begann zu singen. Plötzlich wurde es sehr leise und man konnte nur noch den Klang von Thảos reiner, süßer Stimme hören, der alle Ecken des Dschungels füllte. Der Wind trug die schöne Melodie weiter, die Vögel stoppten zu singen und die Insekten zu zirpen und alle Tiere im Wald stoppten, um ihr zuzuhören. Und als sie weiter sang, stieg und fiel ihre goldene Stimme zusammen mit der kühlen Luft der Dschungels und die Bogenschützen blieben, durch die fesselnde Melodie und diesem schönen Gesicht, ruhig und benommen stehen. Als sie aufhörte schien es, als würde jeder aus einem tiefen Zauber erwachen.
Mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht, ließ der Stammesführer sie gehen. Aber als Thảo sich zum Gehen wandte, baten die Bogenschützen sie zu bleiben und mehr Lieder zu singen. Thảo wusste, dass es spät war und sie schon zu Hause sein musste, aber da ihr Herz Mitleid mit dem Menschen hatte, die durch ihr Lied so begeistert waren, versprach sie, am nächsten Tag wieder zu kommen und erneut für sie zu singen. Die Bogenschützen jubelten und schon bald wurden sie Freunde. Aber um zu gewährleisten, dass Thao ihr Versprechen hielt, sagte der Stammesführer, er wolle etwas als Pfand hierbehalten. Thảo, die bereit war ihr Versprechen zu halten, stimmte zu. So nahm der Stammesführer den Buckel von Thảos Rücken und übergab ihn einem der Bogenschützen zur Aufbewahrung. Er zeigte ihr den Weg aus dem Dschungel und verabschiedete sich.
Es war schon dunkel, als Thảo die Hütte erreichte. Aus Angst, dass ihr Vater sie schimpfen würde, erzählte sie ihm, wie sie sich im Dschungel verlaufen hatte und die Bogenschützen ihren Buckel entfernten. Als ihr Vater und auch Hiền zuhörten, erzählte sie ihnen außerdem von ihrem Versprechen, am nächsten Tag wiederzukommen und erneut ein Lied zu singen. Aus Angst, seine Tochter könne in Gefahr sein, verbot ihr Vater ihr zu gehen. Aber Hiền beobachtete neidisch ihre Schwester, die jetzt keinen Buckel mehr hatte, und ihr kam plötzlich eine Idee, wie sie ihren ebenso loswerden konnte.
In der Gewissheit, sie könne den Platz ihrer Schwester einnehmen, fasste sie den Entschluss, am nächsten Tag in den Dschungel zu gehen und für die Bogenschützen zu singen. So könne sie auch ohne ihren Buckel nach Hause zurückkehren. Da sie außerdem die Zwillingsschwester von Thảo war, würde es niemand bemerken. Als sie ihren Vater bat, anstelle von Thảo in den Dschungel zu gehen, fürchtete ihr Vater, sie könne verletzt werden. Doch Hiền schrie und wütete, und da ihr Vater ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, erlaubte er es ihr schließlich.
Am nächsten Tag ging Hiền in den Dschungel. Sie wanderte durch den Wald, bis es dunkel wurde. Schließlich, als die Dunkelheit und Stille eingesetzt hatte, hörte sie seltsame Geräusche aus der Ferne. Sie dachte an die Geschichte ihrer Schwester und folgte wie diese den Stimmen,als sie dasselbe Flackern eines Lichtes sah. Während sie durch das Gebüsch spähte, sah sie eine Gruppe von Stammesangehörigen singend um ein großes Lagerfeuer tanzen. Hiền trat durch die Büsche und stand in der Lichtung. Bei ihrem Anblick freuten sich die Bogenschützen, in der Annahme es sei Thảo. Der Anführer führte sie um das Feuer herum, wo sie für alle singen konnte.
Ohne zu zögern, begann Hiền zu singen. Da sie jedoch nicht mit einer solch schönen Stimme wie ihre Schwester gesegnet war, fingen die Bogenschützen bei ihrer rauen Stimme überrascht an zu lachen. Schon bald kam der Stammesführer um ihr zu sagen sie solle aufhören und nach Hause gehen. Gedemütigt und das Gesicht rot vor Wut schrie sie den Anführer an. Durch ihren Charakter verärgert, verbot ihr dieser jemals wieder zu kommen. Er rief seine Männer um den Buckel von Thảo zu holen, in dem Glauben diese stehe vor ihm und ihn ihr zurückzugeben, um sicherzustellen, dass diese nie wieder kommen würde um sie zu stören. Also legte er den Buckel auf Hiềns Rücken und befahl ihr, mit einer scharfen Machete in der Hand, zu gehen. Verängstigt verließ Hiền den Dschungel. Mit nun zwei Höckern auf dem Rücken kam sie nach Hause und brach in ihrer Hütte in Tränen aus. Von diesem Tag an musste sie diese Last zweimal tragen. Ihr Stolz, ihre Eifersucht und ihre Unzufriedenheit lehrten sie eine Lektion, die sie nie vergessen würde.